Von der Grenze aus ging es erstmal ein ganzes Stück über die Bundesstraße bevor das erste Leben in Sicht kam. Dieses zeigte sich in Form eines Kangals, einer aus der Türkei stammenden Hunderasse, die für ihre Hütefähigkeiten berühmt und berüchtigt ist. Von diesen beeindruckend großen Hunden angebellt und verfolgt zu werden, war eine ganz neue Erfahrung. Der zweite Eindruck, den wir bekommen haben, war ein in den Straßengraben gestürzter Laster. Zumindest war das unser erster Eindruck vom Verkehr in der Türkei. Wir haben uns darauf hin an die kleineren Dorfstraßen gehalten und wurden Zeugen des abendlichen Gebetsaufrufes des Imam.

Kurz bevor es richtig dunkel wurde haben wir uns einen Zeltplatz gesucht. Sogar einen richtig schönen, wie ich finde. Direkt neben den großen Felsen habe ich mich besonders sicher gefühlt. Am folgenden Morgen hat es in Strömen geregnet und wir haben erst gegen Mittag das Zelt verlassen, als der Regen langsam nachließ.

Dann haben wir uns an die 20 km Abfahrt gemacht, die uns noch von der Stadt Kirklareli trennten. Dort haben wir Köfte gefrühstückt und mit Hilfe des WLANs einen Host in der Stadt ausfindig gemacht, der uns für die nächste Nacht aufnehmen wollte. Wir bekamen noch einen Tee, den ersten von vielen und haben uns dann auf den Weg zu Egemen und seiner Familie gemacht. Egemen konnte uns leider nicht in seiner Wohnung hosten, da er aber bei einer Firma arbeitet, die mit der Regierung zu tun hat, konnten wir auf dem Regierungsgelände in einem Hotelzimmer schlafen. Abends haben wir gemeinsam dort gegessen und Reisegeschichten, Ideen, Träume und Pläne ausgetauscht. Außerdem haben wir uns über den Islam und das Christentum unterhalten. Wir haben festgestellt, dass die Werte gar nicht so unterschiedlich sind.

Zum Frühstück hat Egemen wieder etwas Leckeres vorbereitet und mit uns gegessen. Wir haben die Gespräche fortgesetzt und es fiel uns schwer aufzubrechen. Unser Gastgeber hat uns noch ein Lunchpaket mitgegeben und uns alles Gute gewünscht.

Von Kirklareli aus ging es für uns nach Lüleburgaz. Dort haben wir über Warmshowers ein Zimmer in der Bicycle Academy gefunden. Kurz bevor wir die Stadt erreichten, mussten wir mitansehen, wie ein Hund von einem uns überholenden Auto erfasst wurde. Der Hund wollte uns jagen und ist einfach auf die Straße gerannt. Als das Auto über ihn hinweg gerollt ist, hat der Hund noch gelebt, denn er wurde glücklicherweise nicht von einem Reifen erwischt. Er ist winselnd weggerannt und sah ziemlich mitgenommen aus, aber nicht blutig. Hoffentlich ist es bei Prellungen und einem kräftigen Schrecken geblieben.

Auf dem Weg sind uns außerdem diese interessanten Ampeln aufgefallen.

In der Academy haben wir Marine und Jonathan kennengelernt. Die beiden Franzosen machen eine Weltreise auf dem Fahrrad. Sie sind im Juni von Pau aus an der Atlantikküste rauf gefahren und in der Niederlande nach Deutschland abgebogen. Von Frankfurt aus sind sie mit dem Bus in die Türkei gekommen. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden. Wir haben zwei Nächte in der Academy verbracht. Am zweiten Abend haben Marine, Jonathan, Ativ, unser Warmshowers-Kontaktmann Inanc und wir gemeinsam gegessen. Gekocht hat Ativ, ein Mitarbeiter der Academy und zwar fantastischen Fisch. Am kommenden Tag sind sowohl Marine und Jonathan, als auch wir aufgebrochen, allerdings auf verschiedenen Wegen nach Istanbul.

Ativ hat uns netterweise, da wir keine funktionierende SIM Karte hatten, einen Host in Corlu vermittelt. Wir wurden nach einem anstrengenden Tag sehr freundlich im Satrai, einem Fahrradgeschäft, aufgenommen. Wir haben gemeinsam gegessen und gefeiert. Wir haben Reisegeschichten ausgetauscht und einen sehr schönen Abend und eine lange Nacht verbracht. Nach nur kurzem Schlaf hat ein Mitarbeiter sich freundlicherweise unserer Räder angenommen, sie überholt und uns ein paar Ersatzteile verkauft. Und Marine und Jonathan haben uns abgeholt, da sie doch auf unserer Route fahren wollten. Zufälligerweise haben sie für den Abend sogar den gleichen Host angefragt, also beschlossen wir gemeinsam zu radeln. Die erste Unterbrechung kam nach ein paar Kilometern durch einen platten Reifen.

Leider mussten wir die meiste Zeit einer recht großen Straße folgen, die aber immerhin einen breiten Seitenstreifen hatte. Ab und zu haben wir sie aber auch verlassen und sind durch kleinere Orte gefahren, was auch eine nette Abwechslung war. Wir haben an diesem Tag den ersten Blick aufs Mittelmeer werfen können. Das dritte Meer auf unserer Weltreise. Allerdings hat uns das weniger beeindruckt, weil wir von dem Verkehr und dem langsam aufkommenden Druck durch die nahende Dunkelheit etwas gestresst waren. Zeit für ein paar Fotos hatten wir trotzdem.

Als ich dann noch einen Platten hatte, haben wir den Kampf mit der Dämmerung aufgegeben und uns in unser Schicksal gefügt. Glücklicherweise konnten wir auf der restlichen Strecke der Bundesstraße ganz gut entfliehen. Ein paar Kilometer vor unserem Ziel kam uns, im mittlerweile Stockdunkeln, ein anderer Radfahrer in schwarzer Kleidung, ohne Helm und ohne Licht entgegen. Es stellte sich heraus, dass das Kaya, unser Host war. Er hat uns zu sich nach hause geführt und uns dort mit einer warmen Dusche und exquisitem Essen empfangen. Außerdem hat er mithilfe unserer Geburtsdaten Horoskope erstellt. Der Abend war sehr unterhaltsam für uns vier.

Nichts desto trotz haben wir uns am folgenden Morgen für einen früheren Aufbruch entschieden um im berüchtigten Istanbuler Verkehr nicht bei Nacht festzustecken. Wir haben gemeinsam gefrühstückt und versprochen uns regelmäßig zu melden und auf uns aufzupassen.

Auf dem Weg hatten wir, was die Straße angeht, nicht viel Auswahl. Es führt praktisch nur die Hauptstraße nach Istanbul. Marine fühlte sich von uns Vieren mit dem Verkehr am unsichersten. Ich habe also die Führung übernommen um eine für sie passende Geschwindigkeit vorzulegen, dann Andi, dann Marine und als Schlusslicht Jonathan. Immer brav in einer Kolonne. Aber gut war es trotzdem nicht, für keinen von uns. Vorfahrt hat hier, wer sie sich nimmt.

Trotzdem sind Marine und Jonathan sicher beim Hostel und wir sicher bei unserem AirBnB auf der asiatischen Seite von Istanbul angekommen. Ambitionen Istanbul weiterhin mit dem Fahrrad zu erkunden hat aber wohl keiner von uns. Wir freuen uns jetzt erst mal nur dieses Etappenziel erreicht zu haben und vier Wochen Pause vom Reisen zu haben. Wir haben es nach Asien geschafft! Vorläufig, denn jetzt werden wir einige Zeit damit verbringen einen Plan auszuarbeiten. Welche Grenzen sind offen, welche Visa brauchen wir, wohin kann es weiter gehen?

Hauptsache es geht weiter, egal wohin.