Wir haben einen Tag im KL, was laut unserem Guide die richtige Abkürzung für Konzentrationslager ist, Auschwitz in Oswiecim verbracht. Für Andi und mich war es der erste Besuch eines KLs in unserem Leben, wir wussten also nicht was während der sechsstündigen Führung durch Auschwitz 1 und Birkenau auf uns zukam.

Morgens um 9.15 Uhr haben wir uns, nach Durchlaufen der Desinfektion und des Metalldetektors, gemeinsam mit vier anderen Deutschen zur Führung im Innenhof des Eingangsgebäudes eingefunden. Begleitet wurden wir auf unserer Besichtigung von Piotr, der in Oswiecim geboren und aufgewachsen ist und auch den Großteil seines Lebens in der Stadt um Auschwitz verbracht hat.

Zunächst hat er uns durch das wohlbekannte Eingangstor des KLs geführt. „Arbeit macht frei“ prangt schmiedeeisern über den Pforten zum Abgrund der Geschichte. Piotr hat uns ermahnt uns darüber im Klaren zu sein, dass Arbeit in Auschwitz niemals auch nur eine Person frei gemacht hat.

Die Gebäude in Auschwitz 1 sind nicht die kargen Holzbaracken, die uns als typisch für KLs ins Gedächtnis gebrannt waren, sondern zweistöckige Backsteingebäude. Der Grund hierfür ist, dass es sich bei Auschwitz 1 um eine ehemalige polnische Kaserne handelt, die dann durch weitere Häuser ergänzt wurde.

Piotr hat uns in den ersten Stunden, die wir in Auschwitz 1 verbracht haben versucht nahezubringen, was es bedeutet, dass weit mehr als eine Million Menschen dort und in Birkenau getötet wurden. Er hat uns erklärt, dass die Haare der Frauen, die zur Arbeit gezwungen oder vergast worden sind, abgeschnitten und zur Produktion von Teppichen und anderen Waren in Deutschland genutzt wurden. Bei der Befreiung wurden sieben Tonnen Haare gefunden, die noch nicht versendet waren. Zwei Tonnen davon konnten wir uns ansehen. Es waren unzählbar viele Zöpfe. Es gab einen Raum voller Koffer. Koffer, die mit Namen, Nummern und Geburtsdaten beschriftet waren. Koffer von Kindern, Erwachsenen, Akademikern und Arbeitern, die für eine Aussiedlung gepackt wurden und deren Besitzer keine Gelegenheit mehr bekamen sie auszupacken.

Für mich am schwersten zu ertragen waren aber die Fotos. Frontalaufnahmen von Häftlingen mit Namen, Geburts-, Deportations- und Todesdatum (wenn bekannt) hängen in den Fluren der Blöcke. Einige von ihnen bereits in der gestreiften Uniform mit abgeschnittenen Haaren, andere kurz nach ihrer Ankunft. Und kaum einer hat mehr als sechs Monate im KL Auschwitz überlebt. Viele sind verhungert, an den Folgen der schweren Arbeit gestorben oder wurden getötet. Und auf dieser Masse an Fotos sind trotzdem ausschließlich Häftlinge abgebildet, die nicht direkt bei ihrer Ankunft in Birkenau vernichtet wurden. Bei den Anderen haben sich die Nazis nicht mal mehr die Mühe gemacht Buch zu führen.

Piotr hat sich bemüht uns ein Bild davon zu geben, dass im Konzentrationslager die Willkür herrschte. Es gab keine Regeln, deren Befolgung das Überleben sicherte. Wollte ein SS-Mann einen Gefangenen töten oder schlagen oder auf welche andere grausame Art auch immer demütigen oder verletzen, dann konnte er das einfach tun ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Die einzige Regel, an deren Konsequenz niemand zu zweifeln schien, betraf die Flucht oder den Versuch zu fliehen. Wer es versuchte und erwischt wurde, wurde hingerichtet. Wer es schaffte musste damit rechnen, dass seine Familie und sein Zellenblock dafür büßen musste. Insgesamt haben es nur 800 Menschen versucht und von denen haben es lediglich 150 geschafft.

Den zweiten Teil der Führung haben wir in Birkenau verbracht. Nachdem wir durch das Eingangstor getreten sind, hatten wir geradeaus freie Sicht auf scheinbar endlose Schienen und Zäune. Links standen Steinbaracken, rechts die Holzbaracken die uns, wenn wir an Auschwitz gedacht haben, sofort ins Gedächtnis gekommen sind. Piotr hat uns erklärt, dass die Steinhäuser aus den Überresten abgerissener Stadthäuser bestehen die Auschwitz 1 und Birkenau im Weg waren. Zuerst führte uns Piotr zu einer der Holzbaracken. Im Innern befinden sich dreistöckige Pritschen und ein rudimentärer Ofen, der keine Wärme verspricht. Bis zu 800 Männer haben hier zusammengelebt, vier oder fünf pro Pritschenstock.

Unser nächster Stopp befindet sich am Ende der Schienen. Links und rechts befinden sich die Trümmer der Krematorien, in denen die zuvor Vergasten verbrannt wurden. Kurz vor der Befreiung des Lagers haben die Nazis die Vernichtungsstätten gesprengt, um ihre Spuren zu verwischen. Allerdings kann man noch gut die Überreste der Auskleideräume und die Gaskammer erkennen. Piotr hat uns erzählt, dass die „aussortierten“ Deportierten, hauptsächlich Frauen, Kinder, Alte und Kranke oder einfach überschüssige Arbeitskräfte, hier sogar Seife und Handtücher bekommen haben um die Illusion einer Dusche aufrecht zu erhalten. Die Häftlinge, die das Glück oder Pech hatten nicht direkt nach der Ankunft getötet zu werden, haben derlei nicht für ihre Dusche bekommen.

Würde ich versuchen alle Grausamkeiten zusammenzufassen von denen Piotr uns erzählt hat, oder meine Gefühle in Auschwitz 1 und 2 zu Papier zu bringen, würde ich noch sehr viele Seiten schreiben, ohne Worte zu finden, die dem gerecht werden. Ich habe nur versucht zusammenzufassen, was sich mir am stärksten ins Gedächtnis gebrannt hat. Doch es gibt dabei so viel mehr, : das Buch der Namen, die Bilder und Videos von jüdischen Familien, die nach dem Holocaust einfach nicht mehr existierten, sind nur wenige Beispiele.

Auschwitz hat sich für mich nicht nach einem Museum angefühlt. Zu einem Museum, auch wenn es um Folter, Krieg und Mord geht, kann ich innerlich mehr Abstand halten, weil die Szenarien oft wirklich weit zurück liegen, aber nicht so bei Auschwitz. Der zweite Weltkrieg ist keine 100 Jahre her und so nah fühlte sich der Besuch in dem Konzentrationslager auch an.

Auschwitz geht unter die Haut und bleibt dort und so sollte es auch sein.